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BGH, Urteil vom 27.10.2022 – IX ZR 213/21

Zur Wirksamkeit einer insolvenzabhängigen Lösungsklausel

Die Frage, ob eine insolvenzbedingte Kündigungsklausel in einem Werkvertrag, die dem Besteller aus Anlass eines Insolvenzantrages oder der Insolvenzeröffnung eine Kündigung aus wichtigem Grund ermöglicht, unwirksam ist, war lange Zeit umstritten und wurde nunmehr durch die Entscheidung des BGH vom 27.10.2022 geklärt.

Rechtlicher Hintergrund für den Streit war folgender: Nach § 119 InsO sind Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103 bis 118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt werden, unwirksam. In § 103 InsO ist das Wahlrecht des Insolvenzverwalters geregelt, wonach er entscheiden kann, ob er einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht vollständig erfüllten Vertrag fortführt. Eine Kündigung aus Anlass eines Insolvenzantrages oder der Insolvenzeröffnung würde die Ausübung des Wahlrechts im Hinblick auf eine Vertragsfortführung konterkarieren.

Bei VOB-Bauverträgen gilt § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B. Danach kann der Auftraggeber (AG) den Vertrag kündigen, wenn der Auftragnehmer (AN) seine Zahlungen einstellt (1. Altn.), ein Insolvenzantrag gestellt (2. Altn.) oder ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgelehnt wird (3. Altn.).

Vor diesem Hintergrund stellt sich rechtlich die Frage, ob die Kündigungsmöglichkeit nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B oder allgemein insolvenzbedingte Lösungsklauseln durch die §§ 119, 103 InsO ausgeschlossen sind. Diese Frage war in der Vergangenheit höchst umstritten. Auch der BGH hat hierzu seit 2012 mehrfach Stellung genommen.

In seiner 1. Entscheidung vom 15.11.2012 (IX ZR 169/11) vertrat der für Insolvenzrecht zuständige IX. Senat des BGH bezogen auf Energielieferträge die Auffassung, dass Lösungsklauseln über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie (also sog. Dauerschuldverhältnisse), die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpfen, unwirksam sind.

Trotz der Entscheidung wurde in der Folge überwiegend die Auffassung (vgl. LG Wiesbaden, Ur. V. 07.02.2014 - 1 O 139/13) vertreten, dass es sich bei der Entscheidung des IX. Senates um eine auf Dauerschuldverhältnisse begrenzte Ausnahmeentscheidung handelt, die auf andere Schuldverhältnisse, insbesondere auf VOB-Bauverträge und dort auf § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B, keine Anwendung findet.

Dem folgte die 2. Entscheidung des BGH vom 07.04.2016 (VII ZR 56/15). Hier vertrat der für Werkvertragsrecht zuständige VII. Senat bezogen auf einen VOB-Bauvertrag die Auffassung, die die Regelung der § 8 Abs. 2 Nr. 1 2. Altn. VOB/B (Insolvenzantragstellung) nicht wegen eines Verstoßes gegen §§ 119, 103 InsO unwirksam ist. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Kündigungsregelung des § 8 Abs. 2 Nr. 1 2. Altn. VOB/B isoliert betrachtet nicht weiter als die gesetzliche Kündigungsmöglichkeit nach § 649 S. 1 BGB a.F. (jetzt: § 648 BGB) geht, wonach der Auftraggeber jederzeit berechtigt ist, den Werkvertrag zu kündigen (Rn. 26).

Bereits ein Jahr später hatte der BGH eine weitere Entscheidung, diesmal zum Werklieferungsvertrag, auf dem Tisch. Diesmal hatte (wiederrum) der IX. für Insolvenzrecht zuständige Senat zu entscheiden. Die Besonderheit des Falls bestand darin, dass die Kündigung (nach § 649 BGB a.F. – jetzt: § 648 BGB) diesmal nach Insolvenzeröffnung erfolgt ist. In seinem Urteil vom 14.09.2017 (IX ZR 261/15) entschied dieser, dass eine Vertragskündigung durch den Besteller nach § 649 BGB a.F. auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich sei und dem Besteller dann auch für den nicht erbrachten Teil die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen zusteht (§ 649 S. 2 BGB a.F. – jetzt § 6498 S. 2 bGB). Eine Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) scheide hingegen aus; insbesondere stelle die Eröffnung des Insolvenzverfahrens keinen wichtigen Kündigungsgrund dar. Mit der Frage einer insolvenzbedingten Lösungsklausel vor Insolvenzeröffnung brauchte sich der BGH hingegen nicht auseinandersetzen.  

Dem folgt die nunmehr 4. Entscheidung des BGH vom 27.10.2022 (IX ZR 213/21). Auch hier hatte sich erneut und nunmehr zum 3. Mal der IX. (insolvenzrechtliche) Senat mit der Frage der Wirksamkeit einer insolvenzbedingten Lösungsklausel diesmal jedoch zum Werkvertragsrecht (Schülerbeförderung) zu beschäftigen. Der BGH vertritt nunmehr (unter Verweis auf seine Entscheidung aus dem Jahr 2012) eine salomonische vermittelnde Lösung, wonach eine insolvenzabhängige Lösungsklausel unwirksam ist, wenn der insolvenzabhängige Umstand für sich allein die Lösung vom Vertrag ermöglicht und die Lösungsklausel in Voraussetzungen oder Rechtsfolgen von gesetzlichen Lösungsmöglichkeiten abweicht, ohne dass für diese Abweichungen bei objektiver Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf der Grundlage der wechselseitigen Interessen der Parteien berechtigte Gründe bestehen. Solche berechtigten Gründe können sich bei insolvenzabhängigen Lösungsklauseln allgemein aus einer insolvenzrechtlich gerechtfertigten Zielsetzung oder zugunsten eines Sach- oder Dienstleistungsgläubigers ergeben. Vereinbaren die Parteien hingegen, dass eine Kündigung aus wichtigem Grund zulässig ist, ist die Klausel, dass der vom Erbringer der Leistungen gestellte Insolvenzantrag als wichtiger Grund gilt, wirksam, wenn der Besteller bei einer typisierten, objektiven Betrachtung ex ante zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein berechtigtes Interesse daran hatte, mit der Vereinbarung Vorsorge für eine allgemein mit einem Insolvenzfall einhergehende besondere Risikoerhöhung treffen wollte. Die gleichen Wertungen gelten nach Auffassung des BGH für § 8 Nr. 1 VOL/B, der mit § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B wörtlich identisch ist.

Mit dieser Entscheidung hat der BGH zwar entschieden, dass eine insolvenzbedingte Lösungsklausel nicht zwangsläufig nach §§ 119, 103 InsO unwirksam ist; für die Frage, wann dies der Fall ist, verweist er allerdings auf die Umstände des Einzelfalls. Rechtssicherheit für den Mandanten wurde durch den BGH daher erneut nicht geschaffen.