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BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21

Wann gilt eine E-Mail als zugegangen?

Die Schlussrechnungsprüfung des Auftraggebers (AG) ergibt einen Schlussbetrag von 14.538,00 Euro. Der Auftragnehmer (AN) widerspricht der Schlusszahlung und verlangt eine weitere Zahlung i.H.v. 14.347,00 Euro. Der AG bietet dem AN am 13.12.2018 eine Zahlung in dieser Höhe an. Der Rechtsanwalt des AN antwortet mit E-Mail am 14.12.2018, 09:19 Uhr, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich auf 14.347,00 Euro. Weitere Forderungen würden nicht erhoben. In einer weiteren E-Mail vom 14.12.2018, 09:56 Uhr, erklärt der Rechtsanwalt, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe des AN sei noch nicht erfolgt; die E-Mail von 09:19 Uhr müsse unberücksichtigt bleiben. Am 17.12.2018 legt der AN eine Schlussrechnung über eine Restforderung i.H.v. 22.173,00 Euro. Der AG überweist am 21.12.2018 einen Betrag von 14.347,00 Euro. Der AN verlangt mit seiner Klage die Zahlung des Differenzbetrags i.H.v. 7.826,00 Euro.

Ohne Erfolg! Der AN hat dem AG mit E-Mail seines Rechtsanwalts ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs mit dem Inhalt unterbreitet, dass weitere Forderungen nicht erhoben würden, wenn der AG den restlichen Werklohn i.H.v. 14.347,00 Euro zahlt. Dieses bindende Angebot ist dem AG auch wirksam per E-Mail zugegangen. Zwar ist umstritten, wann eine E-Mail als zugegangen gilt. Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist (so u. a. OLG München, Beschl. v. 15.03.2012 – Verg 2/12 = NZBau 2012, 460). Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger zu, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist (so LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 07.05.2002 – 2HK O 9434/01 = NJW-RR 2002, 1721). Der Streitfall gibt keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich. Der mit E-Mail der Klägerin vom 14.12.2018 um 09:56 Uhr erklärte Widerruf des Vergleichsangebots war damit verspätet. Mit der am 21.12.2018 bewirkten Zahlung hat der AG damit das Angebot des AN rechtzeitig angenommen.

Wird ein Schreiben (klassisch) auf dem Postweg verschickt, kann der Absender, der seine Erklärung "bereut", dem Empfänger z. B. noch ein Widerrufsschreiben per E-Mail, Fax oder Kurier zuschicken bzw. es in den Briefkasten des Empfängers einwerfen (lassen). Geht der Widerruf vor oder mit dem Schreiben beim Empfänger ein, wird der Inhalt des ersten Schreibens gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB nicht wirksam. Danach ist eine Willenserklärung, die gegenüber einem Abwesenden abgegeben wird, unwirksam, wenn vor oder gleichzeitig mit ihrem Zugang dem Vertragspartner ein Widerruf zugeht. Diese Widerrufsmöglichkeit besteht bei einer per E-Mail oder per Fax verschickten Erklärung aufgrund der hohen Übertragungsgeschwindigkeit nicht!