Verfall oder „Ansammeln“ von Urlaubsansprüchen bei dauererkrankten Arbeitnehmern?
Der Verfall von Urlaubsansprüchen bei Arbeitnehmern, die über einen längeren Zeitraum krank sind, wurde durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den letzten Jahren stark geprägt bzw. verändert.
Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) müssen Arbeitnehmer ihren Urlaub im laufenden Kalenderjahr nehmen. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. In diesem Fall muss der Urlaub bis spätestens zum 31. März des Folgejahres genommen werden, andernfalls verfällt der Anspruch.
Das BAG hat in mehreren Urteilen klargestellt, unter welchen Bedingungen Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit verfallen. Grundlegende Bedeutung hat insoweit das Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az.: 9 AZR 245/19).
Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG verfielen Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres („15-Monats-Frist“). Diese Regelung wurde durch die Rechtsprechung des EuGH bestätigt, aber auch weiterentwickelt.
Das BAG hat in Umsetzung der Vorgaben des EuGH entschieden, dass Urlaubsansprüche nur dann verfallen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auf den noch nicht genommenen Urlaub aufmerksam gemacht und ihn aufgefordert hat, seinen Urlaub zu nehmen. Zudem muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer klar und rechtzeitig darauf hinweisen, dass der Urlaub verfällt, wenn er nicht genommen wird (sog. „Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers“).
In Fällen, in denen der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres bis zum 31. März des zweiten Folgejahres ununterbrochen arbeitsunfähig ist, verfallen die Urlaubsansprüche mit Ablauf der 15-Monats-Frist unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hingewiesen hat. Hat der Arbeitnehmer jedoch im Urlaubsjahr noch gearbeitet, bevor er krank wurde, verfallen die Urlaubsansprüche nur dann, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist.
Die Berechnung des Urlaubsanspruchs ist auch im Fall einer Kündigung von Bedeutung, da gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG der Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
Im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung können vom Gesetz abweichende Vereinbarungen getroffen werden. Allerdings dürfen diese Regelung gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG nicht dazu führen, dass der gesetzliche Mindesturlaub gekürzt wird. Die Höhe des Urlaubsanspruchs ist in jedem Einzelfall genau zu prüfen.
Die Rechtsprechung des BAG zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei dauererkrankten Arbeitnehmern stellt sicher, dass Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche nicht verlieren, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen ihren Urlaub nicht nehmen können.
Arbeitgeber sind unabhängig davon gut beraten, ein System zu implementieren, dass die erforderlichen Mitwirkungsobliegenheiten sicherstellt, um ein „Ansammeln“ von Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern.